26th September 2021
Anna Zhuravel arbeitet als Data Senior Consultant bei Mindshare in Frankfurt. Die Datenspezialistin unterstützt Kunden dabei, ihre Daten bestmöglich in digitalen Marketingaktivitäten einzusetzen.
Anna ist in Almaty in Kasachstan geboren und aufgewachsen. Als Studentin kam sie nach Deutschland und Belgien. Die 28-Jährige spricht insgesamt sechs Sprachen, davon drei fließend. Zum europäischen Tag der Sprachen haben wir mit ihr darüber gesprochen, was Sprache für sie bedeutet.
Anna – du sprichst sechs Sprachen. Wie kam es dazu?
Geboren und aufgewachsen bin ich in Almaty, der schönsten Stadt Kasachstans am Fuße des Tian-Shan-Gebirges. Dort gibt es offiziell zwei anerkannte und gesprochene Amtssprachen – Kasachisch und Russisch. Seit dem ersten Grundschultag begleitet mich, neben diesen zwei Amtssprachen, sehr intensiv auch die deutsche Sprache. Die Begeisterung und das Talent für Fremdsprachen wurde bei mir relativ früh erkannt, so dass ich mich ungefähr ab der mittleren Reife neben Russisch, Kasachisch und Deutsch noch zusätzlich mit Englisch und Französisch befasst habe.
Als ich nach dem Abitur zum Studieren nach Deutschland kam, konnte ich meine Sprachkenntnisse im Deutschem, Englischen und Französischen vertiefen. Irgendwie war das aber nicht genug und dank eines Auslandsemesters in Belgien und später einer längeren Dienstreise in den Niederlanden habe ich zusätzlich mit Niederländisch angefangen.
Was bedeutet Sprache für dich persönlich?
In meinem Alltag jongliere ich täglich mit drei Sprachen. Die Sprachen zu wechseln erfordert Übung und ist oft herausfordernd, macht aber enorm Spaß. Ich persönlich sehe Sprache als Werkzeug. Werkzeug zum Erfolg, Fortschritt und neuen Entdeckungen. Wie ein berühmtes Zitat besagt: Eine neue Sprache öffnet dir vor allem die Augen, und nicht nur Türen. Gerade in unserer Branche, wo es um Kommunikation und Daten geht, ist die Sprache ein wichtiges Instrument, um die Inhalte richtig zu entziffern und die Botschaft auf den Punkt zu bringen. Sowohl zwischenmenschlich als auch im technischen Zusammenhang.
Welche Rolle spielt Sprache in deinem Arbeitsalltag?
Eine wirklich sehr zentrale Rolle! Mindshare ist eine große Netzwerk-Agentur mit Zugang zu vielen internationalen und global gesteuerten Ressourcen. Das bringt nicht nur geschäftliche Vorteile mit sich, sondern bietet auch viel Raum für einen internationalen und sprachübergreifenden Austausch. Darüber hinaus gibt es bei jedem der Mindshare-Standorte viele Kollegen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Sprachkenntnissen, so dass man auch hier die Mehrsprachigkeit prima einsetzen kann.
Wie erlebst du diese Vielfalt an Menschen und Kulturen bei Mindshare?
Es wird sehr kollegial damit umgegangen. Zum Beispiel springt man in Meetings oder E-Mails in der Regel auf Englisch um, wenn mindestens eine Person etwas auf Deutsch nicht versteht. Manchmal übrigens auch auf Russisch. Da ich als Nicht-Muttersprachlerin so etwas zu gut kenne, versuche ich, in solchen Situationen immer Rücksicht zu nehmen und andere auch dafür zu sensibilisieren. Den Austausch in einer gemeinsamen Sprache unter Kollegen oder auch mit Kunden schätze ich immer sehr. So schafft man neben den produktiven geschäftlichen Themen auch eine kulturelle und persönlichere Ebene, die für eine angenehme Atmosphäre und Zusammenarbeit sorgt.
Sprache ist immer auch Ausdruck von Kultur. Gibt es etwas, das du durch die Beschäftigung mit Sprache über eine bestimmte Kultur – zum Beispiel die deutsche - gelernt hast?
Ich lerne Deutsch, seit ich denken kann und es gibt viele Besonderheiten, die mich faszinieren. Zum Beispiel das Phänomen Dialekte. In der Schule habe ich Hochdeutsch gelernt und es als „einzig wahre“ deutsche Sprache empfunden. Bis mein erster Aufenthalt in Karlsruhe mir das Gegenteil bewiesen hat. Aus „zwei“ wurde „zwo“, aus „Brötchen“ wurden „Weckle“ und so weiter.
Aktuell lebe ich in Hessen, und hier "bappelt" man auch anders. Morgens holt man beim Bäcker frische "Brödsche" und wird mit "Ei Gude!" begrüßt. In Hamburg heißen die Backwaren übrigens "Schrippen" und "Hallo!" wird zu "Moin!". Jede deutsche Region hat ihren eigenen Klang und ist somit besonders. Durch diese regional und historisch bedingte Vielfältigkeit ist und bleibt Deutschlernen nie langweilig.
Gibt es ein Wort in deiner Muttersprache, das sich nicht oder nur schwer ins Deutsche übersetzen lässt – und umgekehrt?
Das melancholische Wort "Toska" (тоска). Es bezeichnet ein Gefühl bzw. starken seelischen Schmerz einer Person, welcher sich zwischen Leiden und Sehnsucht befindet und vergleichbar mit dem Weltschmerz oder der Nostalgie ist. Oder das etwas veraltete und eher aus dem täglichen Gebrauch Wort "Awos" (авось). Das benutzt man im Kontext der Hoffnung auf einen glücklichen Zufall, ohne eigenen Anstrengungen.
Die Liste von deutschen Wörtern, die man nicht ins Russische übersetzen kann, ist in der Tat länger. Denn im Deutschen ergeben sich alleine durch Zusammensetzung von zwei unabhängigen Wörtern unendlich viele neue Wörter mit einzigartigen Bedeutungen. Wie zum Beispiel "Ohrwurm", "Fremdschämen", "Katzensprung" oder "Kummerspeck". Diese und viele andere Begriffe gibt es im Russischen nicht – und vielleicht auch in keiner anderen Sprache dieser Welt.
Gibt es etwas, dass du uns deutschen Muttersprachlern auf den Weg geben möchtest?
Nicht nur den Muttersprachlern, sondern allen Lesern: Lernt Sprachen! Sie öffnen nicht nur Türen, sondern auch Augen auf die Welt und die Menschheit. Sprachen sind zudem ein wunderbares Gehirn-Training. Und zweitens: zeigt mehr Akzeptanz und Kulanz gegenüber Nicht-Muttersprachlern. Wir haben es nicht immer leicht. Vor allem mit "der", "die" und "das"...
*Die O-Töne der Interviewpartner werden nicht verändert im Zuge unserer eigentlichen geschlechterneutralen Sprache.